Zugfahrt 2. Klasse... - Liebe zur Erde

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Zugfahrt 2. Klasse...

Zugfahrt nach Chongqing


1. Teil: Hölle 1

Bevor wir zurück zur Natur gehen, muss ich einen Ort der besonderen Art einfügen: den aktuellen Bahnhof von Guyiang. Da wir von hier aus mit dem Zug in ein paar Tagen nach Chongqing müssen, heißt es bei der Ankunft unmittelbar: Fahrkarten besorgen. China expandiert - überall werden riesige Futuristische neue Gebäude hingestellt. Diese noch mittelalterliche Station bildet also die Ausnahme - aber was für eine! Vor der eigentlichen Bahnhofshalle haben sie ein Provisorium mit weiteren 10 Schaltern eingerichtet, wo sich im Regen hunderte von Menschen drängen. Die Haupthalle selber ist angefüllt mit sicher 1000 Menschen in Warteschlagen und ein paar auf Gepäck sitzenden Menschen in den Ecken - und damit ist die Halle auch bis in die Ritzen voll. Neben dem Lärm und Geschrei durch die Massen wird aber auch noch hier drin gebaut und die Arbeiter wetteifern darin, wer die Eisenverstrebungen am lautesten durch die Landschaft schmeissen kann. Hier kann ich es nur mit Ohrstöpseln aushalten, während ich Gepäckwache halte. Irgendwann fällt bei den Aussenschaltern wohl der Strom aus und weitere hunderte von Menschen ergießen sich in diese Tickethalle.

Die Abfahrtshalle ist ähnlich spektakulär, wenngleich etwas geräumiger. Da es 2 Tage später immer noch regnet, haben wir hier dafür die Besonderheit, durch richtig große, gesamtraumergreifende und durchaus >5 cm tiefe Pfützen zu dürfen. Die Flöhe, die zu dieser Fahrt gehören werden und sich an mir gütlich tun werden, hat das allerdings nicht gestört - die mussten vermutlich aber auch nicht mit eigenen Füssen hier herein spazieren: Spätabends kommen wir in Guiyang an und checken gegenüber des Bahnhofs im Hotel ein. In Guiyang regnet es – nein, es schüttet zum Teil heftigste und ein Teil der Straßen steht unter Wasser. Bis wir im Hotel sind, sind wir patschnass. Morgen erwartet uns nun also die anstrengendste Etappe dieser Reise, 10 Stunden Zugfahrt nach Chongqing.


2. Teil: Die Fahrt...

Vor 6 Uhr klingelt der Wecker und läutet den Tag des Wahnsinns ein. Am Ende habe ich Flohbisse, wir sind total entnervt und überreizt und wollen für den Rest der Reise keine 2. Klasse mehr sehen. Die Bahnstation von Guyiang ist eine frühmorgendliche Hölle: tausende von Menschen drängen sich durch Platzregen und stehendes Wasser durch Gepäckscanner, Ticket- und Passkontrollen und schmale regulierte Zugänge durch den Bahnhof zu den Gleisen. Drücken, Drängen, Geschrei. Im Zug geht das weiter, denn es zeigt sich, dass viel mehr Tickets verkauft wurden, als es Sitzplätze gibt - und nochmals: wir reden hier von einer 10-Stündigen Zugfahrt in Waggons, wo 5 statt 4 Sitze nebeneinander sind.

 

Manche Chinesen – wie die Familie in meiner 6er Sitzkombination, beansprucht für Mann, Frau und schlafende Tochter 4 Plätze (und versucht das zu verteidigen), derweil sie nur 2 bezahlt haben. Rundum werden wir von Kindern und einfacher Landbevölkerung umlagert: Hinter uns wird auf die Sitze gestanden, um uns besser zu sehen, über unsere Schultern und Köpfe hinweg für uns schmerzhaft gestikuliert, lautstark debattiert und auch gekotzt. Ein nicht unagressiver Besoffener hat sich im Gang vor den Klos zum Schlafen ausgebreitet – wer vorbei will, steigt drüber und riskiert dafür, angemacht zu werden. Gelegentlich müssen seine Freunde ihn zurück halten...

Ein etwas englisch sprechender Student mir gegenüber fragt, warum wir nicht fliegen. Meine Antwort, dass wir sein Land kennen lernen wollen und insbesondere die Landschaft, lässt ihn schlicht fassungslos zurück. Er braucht einen Moment, um Worte zu finden: es gäbe hier doch nichts zu sehen, das sei doch alles nicht schön hier. Das wiederum hinterlässt mich sprachlos (man schaue kurz auf die Seite zur Lanschaft in dieser Provinz, Menu links) . Uns war schon aufgefallen, dass die Chinesen entweder an ihren Smartphones daddeln oder alternativ schlafen – und das überall dort, wo wir sie angetroffen haben: im Sightseeing, in Bus, Zug oder wo auch immer. Ob es eine Wüstentour ist, zu den Wasserfällen im Bus geht oder eben in Zug oder Bus: keiner scheint sich für seine Umwelt zu interessieren – außer ein paar wenige Studenten, die manchmal aus den Fenstern sehen.

Diese Bilder oben und unten geben einen Eindruck von einem 5-Minuten-Zeitfenster: ich bin nicht einmal vom Platz weggegangen, das war, was ich in dem Moment um mich herum gesehen habe. Die Männer, die über unseren Sitzlehnen hiengen um uns besser sehen zu können, konnte ich ja schlecht auch noch aufnehmen....
Wer genau hinsieht, kann merken, daß die Bilder links oben und rechts unten aneinenader anschliessen: 4 Frauen sitzen hier auf den 3 beengten Sitzplätzen mir gegenüber nebeneinander. Damit aber nicht genug: es drängen sich gelegentlich noch bis zu 3 Kinder hier auf den Schößen und im verbliebenen Platz, denn neben mir sitzt auch ein Päärchen mit Tochter: Touristen sehen zu können ist doch zu interessant... . wo also bei uns 2 mal 4 oder 1 mal 3 Personen die Abteilbreite beanspruchen, sind es hier regulär 5 und irregulär ... - 8.

 

 

Am Ende dieses Tages jedenfalls sind wir an die Tour auf dem Amazonas in Peru erinnert – und definitiv bedient. Jeder einzelne dieser Menschen ist freundlich und aufgeschlossen, aber diese immense Masse einen endlosen Tag lang ist für uns nur schwer erträglich.

Es ist auch hier im Zug, dass mit klar wird:

Würden die Länder von MENSCHEN regiert, gäbe es keine Kriege!


In noch keinem bereisten Land habe ich gefunden, dass Menschen mir gegenüber nicht doch freundlich und neugierig gewesen wären – egal wo ich war. Warum sollte ich vor ihnen Angst haben? Nur im Verbund, unter Kommando und unter Ausschaltung des individuellen Urteilsvermögens, lassen sich Massen mobilisieren und in den Kriegswahn treiben.

 
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